Kapitel 1 - Der Anfang einer Reise

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Die Sonne stand hoch über der dritten Ebene, deren Wälder und sanfte Hügel von einer warmen Brise durchzogen wurden. In einer kleinen Taverne, deren verwitterte Holzschilder "Zum Windrufer" verkündeten, saßen Merlin Aetheris und Celestina Auralis an einem schlichten Holztisch. Vor ihnen stand ein nahezu leerer Teller Brot und ein halbvolles Glas Wasser. Das Duo war nun seit gut sechs Monaten gemeinsam unterwegs, nachdem sie sich in einem kleinen Dorf auf Ebene 2 begegnet waren. Ihre ersten gemeinsamen Monate hatten sie in einer verlassenen Scheune verbracht, wo sie mit kleinen Arbeiten und dem Verkauf von handgefertigten Waren über die Runden kamen. Das Leben war schlicht gewesen, aber es hatte sie zusammengeschweißt. Celestina hatte schnell gemerkt, dass Merlin zwar ein unerschütterliches Selbstbewusstsein ausstrahlte, dabei aber eine seltsame Wärme besaß, die sie beruhigte. Merlin wiederum war fasziniert von Celestinas himmlischer Aura und ihrer unerschütterlichen Loyalität, auch wenn ihre schüchterne Art ihn oft zu neckenden Kommentaren verleitete.

"Das war's", sagte Merlin schließlich und lehnte sich mit einem theatralischen Seufzen zurück. "Unsere Münzen sind offiziell Geschichte. Wir haben alles aufgebraucht, was wir von Ebene 2 mitgenommen hatten."

Celestina, deren platinweißes Haar im Licht der Taverne leicht schimmerte, blickte verlegen auf ihre Hände. Ihre eisblauen Augen suchten den Tisch ab, als ob dort plötzlich Münzen erscheinen könnten. "Vielleicht... könnten wir einen Auftrag annehmen? Ich hätte kein Problem damit, mit dir zu arbeiten, um ein paar Münzen zu verdienen."

Merlin grinste sie an, während er den letzten Brotkrümel in seinen Fingern drehte. "Das ist eigentlich eine ganz gute Idee, Celestina. Ein einfacher Auftrag könnte uns aus dieser Misere helfen." Er lehnte sich vor und fügte mit einem verschmitzten Lächeln hinzu: "Wir beide sind ein unschlagbares Team, oder?"

Celestina errötete leicht und spielte nervös mit einer Strähne ihres Haares. "Oh... okay, alles klar! Aber ich hoffe, es wird nichts Gefährliches."

Merlin stand auf, zog seine Robe glatt und strich sich durchs schwarze Haar, das immer leicht zerzaust wirkte, als hätte es der Wind geordnet. "Gefährlich? Komm schon, mit mir an deiner Seite hast du nichts zu befürchten. Lass uns zur Gilde gehen und sehen, was uns erwartet."

Die beiden machten sich auf den Weg zur nahegelegenen Abenteurergilde. Der Weg führte sie durch die geschäftigen Straßen des kleinen Dorfes, dessen Fachwerkhäuser sich aneinanderreihten. Die Händler riefen lautstark ihre Waren aus, während Kinder zwischen den Ständen spielten. Celestina blickte umher, ihre Nervosität wich langsam einem Anflug von Neugier. "Das Leben hier ist so anders als bei uns zu Hause", murmelte sie.

"Anders, ja", stimmte Merlin zu, ohne seinen Blick von dem imposanten Gebäude aus grauem Stein abzuwenden, das vor ihnen auftauchte. Der Eingang der Gilde wurde von zwei Fackeln flankiert, deren Flammen auch bei Tageslicht loderten. "Aber genau das macht es so spannend. Komm, da vorne ist die Gilde."

Innen war es laut und geschäftig, mit Abenteurern, die sich über Aufträge austauschten oder ihre Ausrüstung inspizierten. Am Empfangstresen stand ein älterer Mann mit grauem Bart und einem freundlichen, aber geschäftsmäßigen Ausdruck.

"Ah, Neuankömmlinge?" fragte der Mann, als Merlin und Celestina näher traten.

"Wir sind hier, um einen kleinen Auftrag anzunehmen", sagte Merlin mit einem selbstbewussten Lächeln, während er sich leicht auf den Tresen stützte. "Etwas Einfaches, das uns ein paar Münzen einbringt."

Der Mann lachte leise. "Einen kleinen Auftrag? Schön wär's. Um überhaupt einen Auftrag annehmen zu können, müsst ihr eine Abenteurerlizenz besitzen. Bitte zeigt mir diese zuerst!"

Celestina sah ihn verwundert an. Ihre Augen weiteten sich leicht, und sie wirkte einen Moment unsicher, bevor sie vorsichtig sprach: "Abenteurerlizenz? Sowas besitzen wir nicht." Ihre Stimme zitterte leicht, als sie Merlin ansah, als wollte sie sicherstellen, dass er die Situation klären würde.

Merlin lehnte sich mit verschränkten Armen vor und sagte mit einem selbstsicheren Lächeln: "Dann registrieren wir uns doch einfach hier, oder? Meine Begleiterin und ich sind sicherlich stark genug, um das zu beweisen. Ein kleiner Test vielleicht?"

Der Rezeptionist schüttelte den Kopf, ein freundliches, aber bestimmtes Lächeln auf den Lippen. "Ach, wenn es so einfach wäre. Eine Abenteurerlizenz ist nicht nur ein Stück Papier, sondern eine Bestätigung, dass ihr für die Gefahren von Calyphera bereit seid. Ohne sie würde jeder junge Abenteurer gleich beim ersten Auftrag sein Leben riskieren." Er hielt kurz inne und fuhr dann fort: "Die Registrierung und die Vergabe der Lizenzen erfolgen ausschließlich in den Hauptstädten von Ebene 1. Glanzfurt, Nachtklippe, Stahlruh oder..." Sein Lächeln wurde etwas skeptisch. "Vielleicht interessiert euch auch das neue Königreich Sylveria? Es ist allerdings alles andere als leicht, dort eine Lizenz zu bekommen."

"Sylveria?" Merlin runzelte die Stirn. "Noch nie gehört. Was ist das?"

Der Mann lehnte sich nachdenklich zurück. "Ein sehr junges Königreich. Es wurde von der legendären Gilde Log Horizon gegründet, und ihre Mitglieder lassen nur sehr wenige Abenteurer in ihre Hauptstadt Ysildra. Aber ich würde es nicht empfehlen – die Bürokratie dort ist streng, und sie sind wählerisch, wen sie überhaupt zulassen. Stahlruh wäre die bessere Wahl."

Ysildra war mehr als nur eine Stadt. Sie war ein Wunderwerk, eingewoben in die mächtigen Wurzeln des Weltenbaums, die sich wie riesige Säulen in den Himmel erhoben. Die Straßen waren aus glattem, dunkelgrauem Stein gefertigt, ihre Kanten von leuchtenden magischen Symbolen durchzogen, die den Reisenden Orientierung boten. Plattformen aus Holz und Metall schwebten magisch zwischen den Wurzeln, verbunden durch filigrane Brücken. Die Gebäude selbst wirkten wie gewachsen, als hätte der Baum sie mit seinen Wurzeln umarmt und geschützt. Ysildra schien zu atmen, ein lebendiges Monument aus Natur und Magie.

Doch Merlins Interesse war geweckt. "Eine Stadt, die tief in den gigantischen Wurzeln eines Baumes liegt, dessen Krone die Grenze zur zweiten Ebene berührt? Klingt nach einem Abenteuer."

Der Rezeptionist hob eine Augenbraue. "Abenteuerlich, ja. Aber auch gefährlich. Die Wurzeln des Weltenbaums sind wie eine Festung. Die Straßen entlang der massiven Wurzeln sind voller Fallen, und alte Magie bewacht die Pfade. Und selbst wenn ihr es bis Ysildra schafft, gibt es keine Garantie, dass sie euch aufnehmen."

"Umso spannender", sagte Merlin mit einem schiefen Lächeln, während Celestina ihn besorgt ansah. "Was meinst du, Celestina?"

Sie zögerte und murmelte: "Wenn du es wirklich möchtest, werde ich dir folgen."

"Dann ist es entschieden!" Merlin drehte sich um und ging Richtung Ausgang. "Wir gehen nach Sylveria."
Merlin winkte dem Rezeptionisten noch zu und bedankte sich für die Infos.

Doch kaum hatten sie die Gilde verlassen, wurden sie von einem stämmigen Mann mit vernarbtem Gesicht aufgehalten. Sein Atem stank nach Alkohol, und er fixierte Celestina mit einem unverhohlen lüsternen Blick.

"Hey, schau dir das an! Was für ein Prachtexemplar von einer Frau", lallte er abfällig und deutete mit einem dreisten Grinsen auf Celestinas athletische Figur. "Dein Hintern verdient einen Applaus, Süße. Warum verschwendest du deine Zeit mit so einem Wicht wie dem da?"

Celestina wich einen Schritt zurück und hob eine Hand an ihre Brust. Doch ihre Unsicherheit wich plötzlich einem festen Ausdruck. Sie trat vor und sagte mit klarer Stimme: "Ich denke, Ihr habt genug getrunken. Geht nach Hause."

Der Mann grinste breit. "Oh, die Kleine hat Mut."

Bevor er weiterreden konnte, trat Merlin dazwischen. "Mein Freund, ich glaube, sie hat sich klar ausgedrückt. Vielleicht wollt Ihr auf sie hören, bevor Ihr Euch blamiert."

Der Mann blinzelte und lachte dann schallend, während er Merlin abschätzig ansah. "Du? Glaubst du wirklich, du kannst mir Vorschriften machen?" spottete er und ließ seinen Blick herablassend auf Merlin ruhen. "Schau dich an, du dürres Würmchen! Einer wie du könnte mir nicht mal die Stiefel sauber lecken, geschweige denn mich beeindrucken. Ein Schlag von mir, und du liegst für eine Woche flach!"

Merlin hielt inne, ein selbstsicheres Lächeln auf den Lippen. "Ach wirklich?" Seine gold-gelben Augen blitzten amüsiert auf. "Muskeln sind beeindruckend, das gebe ich zu. Aber weißt du, jemand wie ich braucht nicht einmal einen Finger zu krümmen, um mit dir den Boden aufzuwischen. Vielleicht sollte ich dir zeigen, wie ein echter Zauberer Probleme löst?"

Der Mann ballte die Fäuste und holte aus, doch bevor sein Schlag Merlin erreichen konnte, spürte dieser einen plötzlichen Luftzug. Sylphy, der Geist des Windes, manifestierte sich in einem grellen Licht. Mit einer eleganten Bewegung ihrer winzigen Hand schleuderte sie den Mann mit einem mächtigen Windstoß quer über den Platz. Der Betrunkene krachte mit einem lauten Knall gegen die steinerne Außenwand der Gilde und blieb benommen liegen.

Die Menge verstummte, nur um kurz darauf in ein wütendes Stimmengewirr auszubrechen. "Das ist Sylphy! Der Windgeist!" rief jemand voller Erstaunen, während andere unruhig murmelten. "Wie kann er es wagen, ein heiliges Wesen zu binden?" Die Worte 'Ketzerei' und 'Blasphemie' schallten durch die Menge, und es wurde schnell klar, dass die Menschen hier den Windgeist nicht nur respektierten, sondern regelrecht verehrten. In Aerendell, der 'Stadt des Windes', war der Glaube an Sylphy ein zentraler Teil der Kultur. Die Vorstellung, dass jemand den Geist gebunden hatte, war ein Affront gegen alles, woran sie glaubten. "Das ist ein Verbrechen!" schrie ein älterer Mann. "So etwas gehört bestraft!" Die Menge begann, sich enger um Merlin und Celestina zu schließen, während Abenteurer mit ernsten Mienen ihre Waffen bereit hielten.

Merlin starrte Sylphy mit leichtem Entsetzen an. Ihm war nicht bewusst gewesen, welche Bedeutung die Geister hier hatten, und es dämmerte ihm erst jetzt, dass sie sich in einer heiklen Lage befanden. Er hatte nicht geahnt, dass Sylphys Auftauchen gerade in dieser Stadt, wo der Windgeist wie eine heilige Legende verehrt wurde, solche Konsequenzen haben würde.

Doch es war zu spät. Die Aufmerksamkeit der Menge hatte sich auf ihn gerichtet, und die Situation drohte zu eskalieren. "Wir müssen weg", flüsterte Celestina und zog an seinem Ärmel.

Merlin nickte, ein freches Lächeln auf den Lippen. "Werd jetzt nicht rot, ja?" neckte er Celestina, bevor er sie plötzlich in die Arme nahm – wie eine Braut, die über die Schwelle getragen wird. Celestina keuchte überrascht, ihr Gesicht lief knallrot an, doch bevor sie protestieren konnte, sprach Merlin nur ein Wort: "Sylphy."

Mit einem gewaltigen Windstoß hob der Geist des Windes die beiden Abenteurer in die Luft, ließ sie elegant über die aufgebrachte Menge gleiten und setzte sie schließlich am anderen Ende des Platzes ab. Celestina sprang aus Merlins Armen, ihre Hand an ihrer glühenden Wange. Sie packte seine Hand, murmelte mit knallrotem Gesicht: "Mach das nie wieder," und zog ihn mit einem energischen Ruck mit sich, um aus der Stadt zu fliehen.

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